Beim Älterwerden habe ich den meisten Menschen etwas voraus: Ich habe über 30 Jahre im Bereich Altenpflege gearbeitet und dabei gesehen, wer zufrieden und gut älter wird, auch bei Pflegebedürftigkeit, und wer an den Herausforderungen des Alterns zerbricht und am alten Leben leidet. Drei Faktoren haben sich für mich am wichtigsten herauskristallisiert. Optimismus, Disziplin und Dankbarkeit.
In der Altenpflege gelernt, wie gutes Älterwerden gelingt
Oft werde ich gefragt, wie ich so positiv über das Älterwerden reden kann. Ich würde schon noch sehen, ab 70 würde auch ich das Älterwerden spüren und damit anders erleben und dann sicher auch als schreckliche Zeit beklagen. Ich höre bei solchen Aussagen immer in mein Innerstes hinein, frage mich, ob die Worte auf mich wirklich zutreffen oder ob mein Gegenüber vielleicht gerade ihr Eigenes in mich hineinprojiziert.
Selbstverständlich habe ich keine Ahnung, wie ich mit 70 sein werde, ob ich gesund bin oder chronisch krank, wie ich mit möglichen Beeinträchtigungen umgehen werde, ob ich überhaupt noch lebe oder schon unter meinem Baum im Friedwald liege. Das Leben geht seine eigenen Wege und es würde von Hochmut zeugen, würde ich glauben, alles unter Kontrolle zu haben und über allem zu stehen. Das Leben hat mich schon einige Male ordentlich gebeutelt und gelehrt, dass nichts fix ist.
Trotzdem: Ich glaube nicht, dass ich jemals mein Älterwerden beklagen werde. Auch nicht bei Schmerzen oder Pflegebedürftigkeit. Ich werde vielleicht mal wütend sein, ungehalten, miesmutig, auch mal Angst haben vor der Zukunft. Aber ich bin mir sehr sicher, es wird immer vorübergehend sein.
Ich konnte bei vielen alten Menschen sehen, dass Zufriedenheit auch möglich ist, wenn man sehr alt, ja sogar, wenn man pflegebedürftig ist. Aus meiner Sicht sind es drei Faktoren, die ein positives Älterwerden fördern: Optimismus, Disziplin und Dankbarkeit.
Optimismus
Eine optimistische Haltung hilft uns das Leben, auch in Krisenzeiten, gut zu meistern. Nicht immer ist es leicht, seine optimistische Grundhaltung zu behalten. Manchmal lässt das Leben einen schon verzweifeln. Auch das Altern fordert uns als Menschen hier besonders heraus. Wenn es hier zwickt und da knarrt, wenn nicht mehr alles so rund läuft, wie gewohnt, wenn nach und nach Freunde sterben und die Zeit immer knapper wird, dann kann der Optimismus schon mal verloren gehen. Was dann? Wie wieder zurückfinden in eine positive Lebenshaltung?
Das Positive zuerst: Die Natur hat es so vorgesehen, dass ältere Menschen mit ihrem Leben zufriedener sind als jüngere Menschen. Woran das liegt, wurde ausführlich erforscht. Ergebnis: Mit dem Älterwerden entwickeln wir ein selektives Denken. Wir nehmen Positive stärker wahr als Negatives. Auch unsere Erinnerungen werden immer positiver. Die Wissenschaft hat diesem Phänomen sogar einen Namen gegeben: Positivitätseffekt.
Die Natur unterstützt uns im Alter also mit einem positiven Blick auf die Welt. Trotzdem können wir auch Zeiten erleben, die uns hinunterziehen, die uns Energie rauben. Bei Krankheit etwa, bei chronischen Schmerzen oder dem Tod einer Freundin.
In diesem Fall kommt, aus meiner Sicht, der zweite Faktor zum Tragen: Die Disziplin.
Disziplin
Wenn ich eines aus meinen vielen Jahren Altenpflege mitgenommen habe, dann die Erkenntnis, dass gutes Älterwerden Disziplin braucht. Dazu zählt für mich vor allem die Disziplin, mit dem Älterwerden vorausschauend und bewusst umzugehen. Hinzuschauen mit 60/ 65, sich mit dem eigenen Älterwerden zu beschäftigen und es ein wenig zu planen, nicht alles dem Zufall zu überlassen.
Beispiel 1: Etwa festzustellen, dass das soziale Umfeld zu klein ist, eventuell deshalb nicht tragfähig ist bis ins hohe Alter, sondern in die Einsamkeit führt. Das anzuerkennen und dann aktiv zu werden, Wege zu suchen, um Menschen kennenzulernen.
Beispiel 2: Wahrzunehmen, wenn man Probleme mit der Mobilität bekommt, diese Probleme anzuerkennen, aber die Mobilität NICHT aufzugeben, sondern daran zu arbeiten. Trotzdem Stufen zu steigen, trotzdem selbst einkaufen zu gehen, trotzdem spazieren zu gehen, obwohl es anstrengend ist und wenn es sein muss, eben mit Rollator oder in Begleitung.
Alle hochbetagten Menschen, die mich mit ihrem positiven Älterwerden beeindruckt haben, hatten diese Disziplin: Die akut erblindete 100 jährige Frau, die darauf Wert legte, jeden Tag top geschminkt das Haus zu verlassen und in Begleitung eine Stunde lang spazieren zu gehen. Die 90 jährige ehemalige Leistungssportlerin, im fünften Stock eines Wohnblocks ohne Lift lebend, die Tag für Tag die fünf Stockwerke runterstieg und wieder rauf, dafür 2,5 Stunden brauchte und mir erklärte: „Wenn ich das nicht mehr mache, dann bin ich in meiner Wohnung eingesperrt und das will ich nicht. Ich will mitten im Leben bleiben.“ Jener 88 jährige Mann, der nach dem Tod seiner Frau am liebsten für immer in seinem Bett liegen geblieben wäre, sich aber aufraffte, jeden Tag zurecht machte, in die Stadt fuhr, in die Bibliothek ging, ins Kaffeehaus, weil „sie nicht gewollt hätte, dass ich mich aufgebe.“
Und damit komme ich zum dritten Punkt, der mir von alten Menschen als wichtiger Faktor fürs Älterwerden vermittelt wurde: Dankbarkeit.
Dankbarkeit
Dankbar für ein langes Leben, dankbar für gesunde Kinder und Enkelkinder, dankbar für Wohlstand, dankbar für ein Leben in Frieden, dankbar für schöne Begegnungen, dankbar für.... ich habe Menschen erlebt, mit schrecklichen Schicksalen, die am Ende ihres Lebens trotzdem so viel Dankbarkeit ausstrahlten. (Umgekehrt habe ich auch viele Menschen erlebt, deren Leben leicht und heiter war und trotzdem haben sie nur rumgemosert und geklagt. Auch daraus habe ich gelernt! )
Dankbarkeit und Optimismus sind eng verwoben. Wer das eine lebt, schöpft aus dem anderen und umgekehrt. Dankbarkeit und Optimismus befeuern sich gegenseitig. Doch wer meint, es würde dabei nur um gute Stimmung und Heiterkeit gehen, irrt. Im Älterwerden haben Dankbarkeit und der daraus resultierende Optimismus auch eine relevante körperliche Ebene. Je älter wir werden, umso mehr reduziert sich in unserem Gehirn nämlich das Dopamin, jener Botenstoff, den wir für die Kommunikation unserer Nervenzellen benötigen und den man als „Zündschlüssel“ für unser Tun verstehen muss. Dopaminmangel macht inaktiv, träge, lustlos, kraftlos, vergesslich und lässt die Stimmung in den Keller rasseln. Ein Circulus vitiosus beginnt, dem man kaum mehr entrinnen kann, wenn man ihn einmal betreten hat.
Allerdings, und das ist das Großartige: Wer sich regelmäßig bewusst in Dankbarkeit übt, produziert Dopamin. Wer eine dankbare Lebenshaltung hat, dessen Gehirn wird regelrecht umspült von Dopamin. Auch im Alter. Die Auswirkungen: Dankbare alte Menschen sind aktiver, kognitiv fitter, optimistischer und mit ihrem Leben zufriedener. Und in Folge haben sie auch mehr soziale Kontakte!
Das Besondere: Dankbarkeit kann man lernen und üben. Allerdings braucht man dafür wieder Disziplin, den unbedingten Willen also, gut durch die Zeit zu kommen und dafür auch etwas beizutragen.
Martin Seligmann, Psychotherapeut und Begründer der Positiven Psychologie, hat viele Übungen entwickelt, mit denen man Dankbarkeit aktiv und bewusst praktizieren kann. Eine dieser Übungen sei hier dargestellt:
Der Dankbarkeitsbesuch:
- Denke an eine Person, die in Deinem Leben eine besonders positive Rolle gespielt hat
- Schreib an diese Person einen Dankesbrief mit ca. 300 Wörtern in dem Du erzählst, wie und was die Person in Deinem Leben bewirkt hat
- Besuche diese Person und lies ihr Deinen Brief vor. Dann redet darüber (und wenn die Person bereits gestorben ist, dann besuche das Grab, lies den Brief vor und verweile noch ein wenig)
Untersuchungen zeigen, eine Woche nach solch einem Dankbarkeitsbesuch (nach einem EINZIGEN!) ist bei der VerfasserIn des Danbarkeitsbriefes ein deutlicher Anstieg von Optimismus und Zufriedenheit nachweisbar.
Deshalb sehe ich Optimismus, Disziplin und Dankbarkeit als die drei wichtigsten Faktoren für ein gutes und zufriedenes Älterwerden. In allen drei Faktoren übe ich mich. Täglich. Schon seit Jahren. Sicher, manchmal fällt es mir leichter, manchmal schwerer, und es werden sicherlich Zeiten kommen, wo auch ich SEHR hadern werde.
Aber: Ich trage meine Vorbilder aus der Altenpflege in mir. Sie haben mir beigebracht, dass es IMMER auch eine Entscheidung ist, ob ich in Selbstmitleid und Klagen versinke oder ob ich mich aufraffe, aktiv werde und an meinem Leben und Älterwerden arbeite.
Service
Lesetipp: Martin Seligmann. Flourish - Wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens. Kösel-Verlag
Solltest Du aktiv an Deinem positiven Älterwerden arbeiten wollen, stehe ich als Coach zur Verfügung. Mehr Infos zu meinem Coaching gibt es HIER