Altern. Von Elke Heidenreich.

Elke Heidenreich flimmert gerade aus jedem Fernseher, ist grad Gast in jeder deutschsprachigen Fernsehshow und auch im Internet ist sie omnipräsent. 80 jährig, witzig, vorlaut und unangepasst wie in jüngeren Jahren, hat sie ein kleines Buch vorgelegt mit dem Titel ALTERN. Ich feiere sie dafür. Das Buch aber hat mich trotzdem auch enttäuscht. Altern von Elke Heidenreich - hier meine Rezension.

Altern. Von Elke Heidenreich
Zuerst das Positive: Warum ich Elke Heidenreich und ihr Buch feiere!

Da ist zuerst einmal der Titel: ALTERN. Es gehört in unserer Zeit schon eine hohe Portion Mut dazu, einem Buch über das Altern auch wirklich den Titel ALTERN zu geben. Altern, das klingt für die meisten Menschen ja nach Abbau, Verfall, Erstarrung. Deshalb tragen die meistens Bücher übers Altern im Titel auch in der Regel das Wort „junggeblieben“. Also so nach dem Motto „Wie Sie, obwohl schon 90, jung geblieben sind (und keiner, wirklich keiner merkt, dass sie alt geworden sind)“. Elke Heidenreich und Hanser haben sich dazu entschieden, diesen Unsinn nicht mitzumachen und das Buch tatsächlich „Altern“ genannt. Dass das Buch trotz dieses Titels ein Bestseller wurde und Elke Heidenreich damit von Talkshow zu Talkshow eilt, sei ihr und dem Verlag von Herzen gegönnt. Sie haben damit einen Meilenstein für die Enttabuisierung des Alterns gesetzt und dafür kann man ihnen gar nicht genug zu danken.

Doch nicht nur der Titel enttabuisiert das Altern, auch der Inhalt setzt neue Maßstäbe. Ohne die dunkleren Seiten des Älterwerdens, etwa Einsamkeit oder Pflegebedürftigkeit, zu verschweigen, hat Elke Heidenreich ein ausschließlich positives Buch über das Altern geschrieben. Ein sehr persönliches Buch, wie ich meine. Nicht nur der Titel verzichtet auf Assoziationen wie „junggeblieben“, auch im Buch selbst kommt dieses Wort nicht vor. Elke Heidenreich bezeichnet sich in ihrem Buch konsequent als alt und redet ausschließlich über das Altern. Keine sprachlichen Verwässerungen, kein Drumherumgerede. Dafür findet man in diesem Buch aber viel Humor und auch jede Menge Trotz. Es ist, was es ist. ALTERN. Die Botschaft lautet: Das Leben einer alten Frau kann verdammt viel Spaß machen. Elke Heidenreich bleibt eben auch im Altern Elke Heidenreich (so wie übrigens jeder Mensch im Alter bleibt, wer er/ sie ist): Frech, kritisch, laut, schnoddrig, eine Rebellin.

Zitat:

"Ich verliere oder verlege und suche Brillen, Schlüssel, Portemonnaies, noch öfter fällt mir ein Name nicht ein, nachdem ich gerade suche. Ich empfinde das nicht als Beeinträchtigung. Mit siebzehn war ich dafür so viel dümmer und wütender. Ich lache heute viel mehr und sehe schönen jungen Männer nach, die für mich nun unerreichbar sind." (S. 33)

Altern von Elke Heidenreich

Sehr gut gefällt mir an dem Buch auch, dass Heidenreich immer wieder die Heterogenität des Alterns hervorhebt und auch die Notwendigkeit, das Altern zu gestalten. Sie tut dies ohne erhobenem Zeigefinger. Wir altern nicht alle gleich. Wer körperlich immer hart gearbeitet hat, dem sieht man das Alter auch früher an, der erlebt die Folgen seines Lebens im Alter, etwa körperlichen Abbau. Armut, Einsamkeit, ein Leben mit viel Sorgen – all das wirkt aufs Älterwerden. Gut Altern als Ergebnis der Lebensumstände und auch des Glücks, das man im Leben gehabt hat. Heidenreich führt Einflussfaktoren auf diese Heterogenität des Alterns aus und stellt damit dar, wie sehr ein gutes soziales Umfeld, das Tätigsein, Aufgaben zu haben und gefordert zu sein, zu einem guten Altern beiträgt. Mehrmals kritisiert sie, ohne es direkt zu benennen, das gesellschaftliche Konzept der Pensionierung. Aufhören zu denken, aufhören zu schreiben, aufhören sich zu engagieren, kam für Heidenreich nie in Frage und sie bringt ihr Tun klar in Verbindung mit ihrem zufriedenen Altern.

Elke Heidenreich ist sich ihrer privilegierten Situation sehr bewusst und beweist in ihrem Buch viel Dankbarkeit. Sie führt wiederholt aus, wie sehr ihr heute abgesichertes Leben ihr Altern positiv beeinflusst. Auch ihre Möglichkeit bis heute beruflich tätig sein zu können und Erfolge (wie diesen mit diesem Buch!) zu feiern, trägt dazu bei.

Gut gefällt mir am Buch auch, dass Heidenreich das hohe Alter und mögliche Pflegebedürftigkeit nicht ausspart. Selbst den Tod nennt sie beim Namen.

Zitate:

"Ich möchte gelassen sein, aber es gibt so vieles am Leben, in der Welt, das mich empört, vielleicht bis zuletzt. Das Heim, in dem sie (Anmerkung: die Mutter von Elke Heidenreich) starb, hat mich zum Beispiel empört. In diesem Haus saßen verlassene, alte Menschen tagaus, tagein und schauten einfach nur vor sicvh hin. Abgestellt. Aufs Mittagessen und Abendessen warten ... und auf den Tod." (S. 67)

"Wie lernt man, alt zu sein? Schwächer zu sein? Dennoch am Leben, im Leben zu sein?" (S. 67)

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Warum mich das Buch trotzdem auch enttäuscht:

Bevor ich über meine Enttäuschung über das Buch schreibe, also meine inhaltliche Kritik, muss ich zugeben, dass ich Elke Heidenreich ihren Erfolg auch etwas neide. Ich haben in den letzten Jahren einige Gespräche geführt mit Verlagen über Buchideen zum Altern. Die Reaktionen waren Kopfschütteln und Sätze wie: „Ein Buch über das Altern. Das kann nur ein Ladenhüter werden. Kein Interesse!“ Dass kein Verlag einen Ladenhüter produzieren will, verstehe ich selbstverständlich. Weh tat es trotzdem. Aber ich will jetzt nicht als Heulsuse rüber kommen…..

Ich denke, es hat für ein Buch übers Altern wohl tatsächlich die Bekanntheit einer Bestsellerautorin wie Elke Heidenreich gebraucht. So tickt der Buchmarkt nun einmal. Deshalb war Elke Heidenreich, zugegeben, die richtige Frau für dieses Buch und der Hanser Verlag hatte einen guten Riecher und erkannt, dass die Zeit genau JETZT reif ist für dieses Buch.

Jetzt aber zu meiner inhaltlichen Kritik. Da ist zuerst einmal der Preis. Das kleine, schmale, gebundene Buch, insgesamt grad mal 111 Seiten, zu satten 20,60 Euro (Österreich) ist schon ein starkes Stück, wie ich als Vielleserin finde.

Inhaltlich ist das Buch eine Aneinanderreihung von Literaturzitaten zum Altern/ Alter und persönlichen Gedanken der Autorin. Anfänglich fand ich die Bezüge zur Literatur noch interessant, aber nach und nach hatte ich den Eindruck, einer Vorlesung über „Das Altern in der Literatur“ beizuwohnen. Gut, Heidenreich war DIE Literaturvermittlerin einer ganzen Nation und Literatur ist ihr Leben. Von daher: Was habe ich mir erwartet? Ich finde halt, da wäre inhaltlich mehr drin gewesen. Ganz zu Beginn schreibt sie etwa, dass wir uns jünger fühlen als wir tatsächlich sind. Da hatte ich meinen ersten Moment, wo ich mir dachte: „Bitte schreibe über das „Alterslose Selbst“, schreibe welche Auswirkungen das hat auf unser Altern, aber auch auf unseren gesellschaftlichen Blick auf Alter. Schreibe es, Dir hören die Menschen zu!“ Aber leider nein, es blieb bei einem oberflächlichen Blick auf dieses Phänomen, das wohl jeder jenseits der Fünfzig kennt. Warum keine tiefere Recherche? Warum kein genaueres Hinschauen? Schade!

Ja, ich finde, es wäre inhaltlich viel mehr drin gewesen und die 111 Seiten wären dann noch spannender geworden. Mich persönlich hat die Aneinanderreihung von Literaturzitaten irgendwann gelangweilt, auch wenn ich mir einige angemerkt habe und in Zukunft für Vorträge verwenden werde (danke dafür!). Als Alterswissenschaftlerin und nach 45 Jahren beruflicher Beschäftigung mit dem Thema Altern, ist meine Meinung aber auch eher nicht von Belang. Das Buch ist ein Bestseller. Den vielen Leserinnen und Lesern gefällts. Ende der Diskussion.

Abschließend noch eine Kritik: Sehr gestört haben mich an dem Buch auch Elke Heidenreichs Seitenhiebe auf die jüngere Generation, die an der einen und anderen Stelle aufpoppen. So meint sie etwa, die Jüngeren würden den Älteren Schuld zuschieben am Zustand der Welt. Sie führt dann aus, dass die Älteren damals aber gar nicht gewusst hätten, was sie anrichten und immerhin auch Greenpeace, Anti-Atomkraft und die Grünen gegründet haben und überhaupt, jede Generation hätte an der vorherigen Generation zu tragen, Außerdem lästert sie noch über Klimakleber, Lastenfahrräder und das Bedürfnis junger Menschen nach mehr Work-Life-Balance. Diese Passagen finde ich extrem unsympathisch und ich wundere mich, dass so eine intelligente Frau wie Elke Heidenreich die Sicht und die Ängste von jungen Menschen unterschwellig lächerlich machen muss. Da wundert es mich nicht, dass wir Alten und Älteren Sätze von Jungen zu hören bekommen wie „Okay, Boomer!“ Es würde uns Alten - aus meiner Sicht- gut anstehen, die andere Denke der jungen Menschen zu respektieren und zu sagen: „Ja, wir haben Gutes getan, aber wir haben auch Scheiße gebaut!“  Weil dieses „Wir haben von nichts gewusst!“ war gestern Unsinn und ist es heute immer noch (vom Klimawandel wird seit über 40 Jahren gesprochen, wir haben nur alle Hinweise in den Wind geschlagen, um unseren Wohlstand und unser sattes Leben zu behalten).

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Trotz meiner Kritik spreche ich für Elke Heidenreichs „ALTERN“ eine klare Leseempfehlung aus. Das Buch ist nicht umsonst ein Bestseller und Heidenreich tourt nicht ohne Grund durch die diversen Talkshow. Dass Heidenreich in einem Buch über das Altern spricht und wie sie darüber spricht, setzt einen Meilenstein. Dafür feiere ich Elke Heidenreich und freue ich mich über ihren Erfolg.

Abschließend noch 3 Lieblingszitate aus dem Buch:

"Hier sitze ich und atme. Und altere. Und altern heißt nicht: noch nicht tot sein. Es ist ein ganz normaler Teil des ganz normalen Lebens. Und gar nicht so schlecht. Jungsein war schlimmer." (S. 20)

"Ich bin das, was ich gelebt habe, und das, woran ich mich erinnere. Erinnern führt ins Innere. Und ich weiß, was, wer, wie ich eigentlich gerne wäre, wenn nicht ich - ach Kierkegaards schöner Satz - "Wehmütig grüßt der, der ich bin, den, der ich sein möchte." Jetzt im Alter, bin ich mit mir ausgesöhnt und möchte nicht mehr jemand anders sein." (S. 24)

"Das JETZT ist wichtig. Das DAMALS und das SPÄTER gehören dazu, aber das JETZT ist im Moment am allerwichtigsten, die augenblickliche Situation zu leben und auszufüllen." (S. 104)

Service

Altern. Elke Heidenreich. Hanser Berlin. 111 Seiten. Prädikat Lesenswert.