Kürzlich war ich zu einer Vernissage geladen. Die Bekannte eines Bekannten öffnete Haus und Garten, lud KünstlerInnen ein, ihre Werke zu präsentieren und Publikum, um zu staunen und zu kaufen. Als ich mich bei meinem Bekannten (der mich eingeladen hatte) erkundigte, wer denn die Frau wäre, die da ihr Haus so großzügig zur Verfügung stellt, erklärte er mir: „Sie ist ehemalige Ballettlehrerin und immer noch so wahnsinnig biegsam. Und sie schaut super aus für ihr Alter.“
Sie schaut super aus für Ihr Alter?
Der Satz beschäftigte mich. Mein Bekannter ist 65 und die Gastgeberin, so nahm ich an, müsste ungefähr im gleichen Alter sein. Wie sieht eine Frau aus, die „für ihr Alter" super aussieht, habe ich mich gefragt. Und ich muss zugeben, ich war neugierig auf diese Frau.
Um es kurz zu machen: Was ich dann sah, machte mich betroffen und irgendwie auch traurig.
Die kunstaffine, ihr Haus auf so wunderbare Weise öffnende, ehemalige Ballettlehrerin hatte die mädchenhafte Figur einer Elfe und ein Gesicht, das nicht mehr lächeln konnte. Stimmt, da waren kaum Falten in diesem Gesicht. Aber eben auch kein Leben, keine Emotionen. Ihr Gesicht war eine Maske.
Selbst als die Gastgeberin eine berührende Ansprache hielt und Worte der Freude von sich gab, war in ihrem Gesicht keine Freude zu sehen. Übrigens auch nicht in ihrer Körpersprache. Alles an ihr war ohne emotionalem Ausdruck, zurückhaltend, wie schaumgebremst, als dürfte sie keine abrupte Bewegung machen, weil dann etwas sichtbar werden würde, was sie nicht sichtbar machen wollte.
Faltenfrei und mädchenhaft
Es stimmt, betrachtete man nur ihre Haut, das Gesicht, ihre Figur, dann sah sie tatsächlich – vorausgesetzt man nimmt jugendliche Schönheit als Maßstab - gut aus. Betrachtete man sie jedoch in ihrer Gesamtheit - Gesicht, Körper, Haltung, Ausstrahlung - dann sah man eine Frau, die mit sich und ihrem Leben rang, eine Frau mit Melancholie in den Augen und großer Unsicherheit im Ausdruck. Woher die Melancholie kam, offenbarte sie mir bei der Verabschiedung. Als ich ihr alles Gute für die Zukunft wünschte, meinte sie: „Welche Zukunft? In meinem Alter hat man keine Zukunft mehr.“ Ich war sprachlos. Überrascht rief ich: „Aber sie sind doch noch nicht alt, das Leben ist doch noch nicht vorbei!“ Sie aber sah mich mit großen Augen an und flüsterte: „Doch, mit 65 ist das Beste vorbei. Jetzt geht es nur noch bergab.“
Keine Zukunft mit 65 Jahren?
Als Alternswissenschaftlerin habe ich zugegeben ein grundlegend positives Bild vom Alter. Ich weiß, das Älterwerden „ist nichts für Feiglinge“ und nicht alles ist eitel Sonnenschein. Das Älterwerden hat - wie übrigens das gesamte Leben - helle und dunkle Seiten. Gar keine Frage! Aber ich bin davon überzeugt, das Leben ist auch jenseits der 65 lebenswert, vorausgesetzt man begreift das Älterwerden als Teil des Lebens und stellt sich ihm auch bewusst. Ich glaube fest daran, dass die Integration des Alterns ins eigene Leben wichtig ist für die persönliche Entwicklung, für die persönliche Reifung als Mensch.
Nach solchen Begegnungen wie mit dieser "Frau ohne Lächeln", zweifle ich manchmal kurzfristig an mir und meinem positiven Bild von Alter, dann frage ich mich: Verkläre ich vielleicht das Älterwerden? Bin am Ende ICH es, die der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen kann?
Doch dann straffe ich meine Schultern und spüre Zorn in mir aufbranden, fühle meinen Widerstand. Warum muss eine Frau mit 65 Jahren „super ausschauen für ihr Alter“? Warum wird eine Frau auch mit 65 Jahren noch über ihr Aussehen definiert? Warum definiert sie sich selbst noch darüber? Warum gilt Faltenlosigkeit im Alter als Schönheitsideal? Warum nicht einfach ein Gesicht, welches die Spuren des Lebens in sich trägt? Warum jagen wir im Alter immer noch der äußerlichen Schönheit und dem Leben der Jugend hinterher, statt uns um unsere innere Schönheit und unser Leben JETZT zu kümmern?
Die Begegnung mit der ehemaligen Ballettlehrerin hat mich betroffen gemacht und mich wieder einmal meinen eigenen Umgang mit dem Älterwerden reflektieren lassen. Denn auch ich hadere an manchen Tagen mit meinem sich verändernden Aussehen, mit den Spuren des Lebens in Gesicht und Körper. Ich bin keine Ausnahme!
Bewusst in die Zukunft gehen. Bewusst älter werden.
Aber ich habe einen Traum. Ich glaube, dass wir Babyboomer das Älterwerden neu definieren können. Wir holen es aus der verstaubten Ecke und füllen es mit Selbstbewusstsein und Lebendigkeit!
Mein Beitrag dabei: Ich begleite Menschen dabei, einen guten und bewussten Weg in ihr Älterwerden zu finden - in hellen wie in dunkleren Zeiten.
Das Leben ist mit 65 eben nicht vorbei!
Es ist dann vorbei, wenn Du es selbst ad acta legst, wenn Du in der Jugend hängen bleibst, vergangener Schönheit und jugendlichem Elan nachweinst, statt Deinen Weg ins Alter zu finden und all die Möglichkeiten zu nützen, die dieser Lebensabschnitt bieten kann.
Du bist schön, egal in welchem Alter Du Dich befindest!
Wie erlebst Du Dein Älterwerden?
Was fällt Dir leicht?
Wo und wann haderst Du?
Lass es mich wissen. Ich freue mich auf Deine Erfahrung.
Ulrike says:
Danke für Deinen Artikel.
Doch wie ist es, wenn man Mitte 60 ist, alleinstehend, keine Kinder? Was gibt dem Leben noch Sinn? Ist es nicht vielmehr ein Zeit vertreiben, bis der Tod kommt? Nein, ich werde weiter leben. Meine Falten mit Würde tragen. Mich nicht langweilen. Aber wenn der Tod kommt, werde ich ihn freudig begrüßen.
Liebe Grüße
Ulrike
Sonja Schiff says:
Hallo Ulrike, danke für deinen Beitrag.
Ilse Kilic says:
liebe ulrike, ich finde das mit dem lebenssinn generell eine interessante frage. vor einiger zeit habe ich mal ein gedicht geschrieben, einen zweizeiler:
ich suche nicht des lebens sinn
weil ich dieser selber bin.
das meine ich ernst, auch wenn es nicht immer gelingt, aber ich versuche es. es gibt ein kinderbuch von wolf erlbruch, es heißt „ente tod und tulpe“, da ist der tod ein freundlicher geselle, daran erinnert mich dein satz vom freudigen begrüßen. ich möchte ihn lieber erst in vielen jahren begrüßen (müssen). alles gute an dich!
Christine says:
Danke für Deine Gedanken! Ja wir sind so viele aus der Baby Boomer-Generation. Und ja es wird Zeit, das Älter werden mit Verfall, Abstellgleis und ähnlichen Endzeitlichen Attributen zu sehen. Oder zu werten.
Im besten Falle haben wir mit Mitte 60 noch 10-15 Jahre Leben vor uns. Mein Gott was für eine Menge Zeit! Und ja, nicht alles geht mehr so leicht von der Hand wie in jüngeren Jahren. Im Körper zwickts. Na und? Hat’s früher auch – wenn wir ehrlich sind. Aber da haben wir uns geschüttelt und weitergemacht…
Ich plädiere für mehr Mut, Zuversicht und Tatendrang der Baby Boomer. Und dabei müssen wir bei uns selbst anfangen. Endlich aufhören, uns unbedingt jung erscheinen zu lassen. Wir sind so wie wir sind und das ist gut so! Und dabei das Leben genießen – mit allem, was da kommt.
Ich habe erst kürzlich einen Blogartikel dazu geschrieben https://www.frauvommain.de/post/alt-was-ist-das-und-wann-ist-das
Sonja Schiff says:
Danke Christine! Schöner Blogbeitrag 🙂 Worüber ich stolpere sind die 10/ 15 Jahre Leben, die wir mit 60 noch vor uns haben. Meinst du mit 75 ist für dich Schluss? Oder meinst du damit, dass dann eine zeit kommt, wo du nicht mehr „lebendig“ sein wirst. Ich hab nämlich lange in der Altenpflege gearbeitet und dabei für mich die Erkenntnis gewonnen, auch bei Pflegebedürftigkeit ist noch ein Leben möglich. Klar, kommt drauf an, wie viel Pflege/ Betreuung man braucht. Aber ich hab einige Menschen erlebt, denen ich morgens helfen musste, und die dann ihren Tag durchaus gut leben könnten. Ich glaube viel ist da einfach auch eine Definitionsfrage…..was ist LEBEN? Lieben Gruß! Sonja
Ilse Kilic says:
ich musste lächeln. du erinnerst dich an unseren comic (den ich gemeinsam mit meinem partner zeichnete)? er trug den titel „du siehst ja noch richtig gut aus“ (www.dfw.at/1/aelterwerden.htm). das war ein zitat, das mir gesagt wurde. ich war 51. ich sah in den augen meines gegenüber NOCH richtig gut aus. ha ha ha. danke vielmals
den zweiten band ließen wir auf einem zitat fußen, das ich 5 jahre später zu hören bekam: „du siehst ja noch ganz gut aus“.
und der letzte band, „du siehst ja IMMER NOCH ganz gut aus“. tja. da war ich 61 jahre alt.
so kenne ich die wahrnehmung des älterwerdens.
zu deiner frage:
das mit dem aussehen fällt mir leicht (meistens jedenfalls).
schwächen, arztbesuche, verluste fallen mir (immer wieder) schwer.
Sonja Schiff says:
ich erinnere mich, liebe ilse! 🙂 danke fürs teilen deiner erfahrungen. ja, schwächen und verluste zu erleben, ist die dunkle seite des älterwerdens. kenne ich auch nur zu gut!
Stefanie Meller says:
Ich glaube mit dem Älter werden gut zurecht kommen, hat auch viel mit dem Beruf zu tun. Viele Menschen identifizieren sich sehr mit dem Job und in unserer Gesellschaft wird Leistung hoch bewertet Für manche Menschen ist es sogar der Lebensinhalt. Als Erzieherin, so wie ich, ist es eigentlich eher vorteilhaft eine gewisse Reife zu haben. Sei es für die Eltern, oder auch für die Kinder. Eine Ballett Tänzerin, Sportlerin oder Schauspielerin etc. hat da eher Probleme, weil dieser Beruf doch mehr altersabhängig ist. Nehmen wir den männlichen Part gilt hier natürlich auch das gleiche. Jung, dynamisch und gutaussehend, faltenfrei….
Alt werden kann somit auch ein Problem der eigenen beruflichen Identifikation und Wertschätzung sein. Werde ich in diesem, meinem Stellenwert nicht mehr gewürdigt, dann fühle ich mich alt !!
Sonja Schiff says:
Hallo Stefanie, du hast vollkommen recht. In der Alternswissenschaft sagt man dazu nicht umsonst, dass Alter ein Konstrukt ist. Alter wird von außen konstruiert, aber auch von einem selbst, jeder hat eine andere Definition von Alter. Und unsere Gesellschaft, etwa die Arbeitswelt, tut da ihres. Umstände können dazu beitragen, dass ich mich alt fühle, obwohl ich es eigentlich gar nicht bin. Bei der Ballettlehrerin ging mir das durchaus auch durch den Kopf. Danke für Deinen Beitrag!