Assistierter Suizid – Euthanasieprogramm für die Generation Babyboomer?

Gleich vorweg: Ich bin keine grundsätzliche Gegnerin des assistierten Suizids und der Möglichkeit, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen. Trotzdem frage ich mich: Ist es Zufall, dass der assistierte Suizid genau jetzt erlaubt wird? Ohne breite gesellschaftliche Diskussion. Jetzt, wo die Generation Babyboomer ins Alter kommt und gleichzeitig das Pflegesystem kollabiert?

Seit 1987 bin ich diplomierte Pflegefachfrau, bald 35 Jahre, und fast genauso lange kämpfe ich schon für eine bessere Altenpflege. Es war vor 20 Jahren als ich, damals Pflegeleitung einer großen Organisation für ambulante Pflege, das erste Mal vor die Presse trat, auf die steigende Alterung unserer Gesellschaft hinwies und vor einem zukünftigen Pflegepersonalmangel warnte. Ich erinnere mich noch gut, wie ein Politiker ob meiner Warnrufe lachte und meinte: „Seien Sie nicht so hysterisch. Es gibt genug Chinesinnen. Die holen wir dann.“

Nichts ist geschehen seitdem. All die Jahrzehnte.

Trotz regelmäßiger Warnrufe der Pflegeszene, trotz des wiederholten Aufzeigens der Mängel im System Altenpflege, trotz des frühzeitigen Ausscheidens so vieler Pflegepersonen aus dem Beruf und auch nicht jetzt durch Covid19 – es ist nichts geschehen. NICHTS! Und wie es ausschaut, wird auch in nächster Zeit nichts geschehen. Das System Altenpflege implodiert gerade und alle schauen weg, Politik wie Gesellschaft. Seniorenheime lassen Betten leer stehen, weil am Markt das Personal fehlt. Ganze Stationen werden geschlossen, obwohl die Wartelisten lang sind und der Druck in den Familien groß.  Auch die Organisationen ambulanter Pflegedienste müssen Tag für Tag Anfragen pflegender Angehöriger negativ beantworten, mit dem  Wissen, dass sie belastete Familien geradezu fahrlässig im Stich lassen.

Und genau jetzt, wo die Not so groß ist und in Zukunft noch um vieles größer werden wird -einfach weil mit den alternden Babyboomern eine zahlenmäßig große Generation ins Alter kommt und damit der Bedarf an Pflege weiter steigen wird - wird der assistierte Suizid freigegeben.

Das soll Zufall sein?

Pflege verkommt gerade erneut zur Fließbandarbeit, keine Zeit und null Energie, um alte Menschen wahrzunehmen, wertzuschätzen und ihre Würde zu wahren. Menschen werden wieder auf Körperpflege reduziert- gewaschen, gewindelt und abgefüttert (ja, diese Worte verwende ich bewusst!). Viele alte Menschen sind schon jetzt, und werden in Zukunft noch viel mehr, bei Hilfebedarf auf sich allein gesellt sein. Pflegende Familien werden im Stich gelassen, jetzt bereits und in Zukunft umso mehr. Das Pflegesystem fährt gerade an die Wand, mit riesigem Schaden auf Jahre, und niemand schreit auf. NIEMAND. Wir als Gesellschaft lassen das alles geschehen, nehmen den Zusammenbruch dieses so wichtigen Systems einer humanistischen Gesellschaft einfach hin, akzeptieren widerspruchslos das Nichtstun dieser seit Jahrzehnten ignoranten Politik.

Was ist nur los mit uns?

Aber alles halb so schlimm. Jetzt kommt ohnehin der assistierte Suizid!

Nennen Sie mich ruhig eine frustrierte Pflegeperson. Ja, vielleicht bin ich das. Vielleicht aber habe ich auch schlichtweg Recht und es ist tatsächlich eine ganz böse politische Strategie. Was werden sich gebrechliche Menschen wünschen, die in ihrer Pflegebedürftigkeit abgefertigt werden, wie ein Stück Fleisch, die ohne Trost bleiben, die sich nur noch als Belastung erleben und denen die verbleibende Würde auch noch geraubt wird? Den Tod. Was werden sich von Pflege belastete Familien wünschen, die nicht mehr weiterwissen und am Ende ihrer Kräfte sind? Richtig. Sie werden den Tod ihres Familienmitgliedes herbeisehnen.

30 Jahre meines Lebens habe ich für eine würdevolle Altenpflege gekämpft und zugegeben, auch für ein Pflegesystem, in dem ich selbst einmal in Würde alt werden kann. Gestern, nach einem weiteren erschöpfenden Seminartermin mit ausgebrannten Pflegekräften, hatte ich das erste Mal den Gedanken, dass ich dann, wenn es bei mir einmal so weit sein wird, rechtzeitig den assistierten Suizid wählen werde. Nicht, weil ich meine Pflegebedürftigkeit nicht ertragen kann, sondern weil ich mir dieses inhumane System von Altenpflege, auf das wir zusteuern, nicht zumuten will.

Ich glaube nicht an Zufall. Ich halte es für Kalkül.

Ab 2022 wird es ihn also geben: Den assistierten Suizid. Nach meinen Erfahrungen der vergangenen 30 Jahre glaube ich nicht an Zufall. Im Gegenteil. Ich unterstelle dem politischen System Kalkül. Und ich warte gespannt darauf, wann von politischer Seite die ersten unterschwelligen Empfehlungen in Richtung Babyboomer kommen, doch rechtzeitig das neue Angebot zu nutzen, bevor man für die Gesellschaft zur Last wird.