Abgeschoben ins Pflegeheim?

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Wenn erwachsene Kinder erzählen, ihr Vater/ die Mutter würde im Seniorenheim leben oder sie würden einem Heimplatz für die Eltern suchen, ernten sie schnell scheele Blicke. Nicht selten steht unausgesprochen die Frage im Raum: Schieben die Kinder die Mama/ den Papa ins Heim ab? Ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält und großen emotionalen Schaden anrichtet.

Abgeschoben ins Pflegeheim

Ein Vorwurf, der sich beständig hält

Abgeschoben ins Pflegeheim! Das ist eine beliebte Headline in Medien. Der Gedanken, BewohnerInnen von Seniorenheimen wären in diese abgeschoben worden, hält sich in unserer Gesellschaft beständig. Seit Jahrzehnten bereits. Zu meinem Leidwesen geben sogar Altenpflegepersonen unreflektiert diesen Unsinn von sich.

Sobald man als Tochter erzählt, man würde für die pflegebedürftige Mutter/ den dementen Vater einen Heimplatz suchen, poppt dieser Gedanke auf. Nicht nur das Gegenüber fragt sich sogleich hinter vorgehaltener Hand: “Schiebt sie die Mama ins Heim ab? Auch die betroffene Tochter hat diese Aussage im Kopf und fragt sich: "Was werden die anderen sagen? Werden sie über mich reden? Werden sie denken, ich schiebe die Mama ab ins Heim?" Besonders dramatisch wird es, wenn "die anderen" die eigenen Geschwister sind. Jene Geschwister etwa, die weiter weg wohnen und sich deshalb nicht um die Eltern kümmern können und die Pflegearbeit der vor Ort verbliebenen Schwester überlassen. Wenn diese dann für Mutter/ Vater einen Platz im Pflegeheim sucht, rufen die Geschwister aus der Ferne gerne empört: "Was, Du schiebst die Mama ins Heim ab?" Wie sehr sie ihre Schwester damit  verletzen und in Schuldgefühle stürzen, überlegen sie nicht. Noch belastender ist es da nur noch, wenn die alte Mutter selbst diesen Vorwurf äußert oder, im Heim angekommen, erzählt: "Meine Tochter hat mich abgeschoben!

3 Fakten gegen den Mythos "Abgeschoben ins Pflegeheim"

Nach über 30 Jahren Altenpflege kann ich klar sagen: Ins Seniorenheim abgeschoben wird bei uns kaum jemand. Es handelt sich bei diesem Gedanken um einem Mythos, um ein böses Vorurteil, das sich leider hartnäckig hält.

Die meisten Menschen haben keine Ahnung davon, was Kinder und Schwiegerkinder in unserer Gesellschaft alles schaffen und tragen, aber auch welche Not sie erleben, wenn Eltern pflegebedürftig werden. Immer noch ist es vor allem die Familie, die Pflege und Betreuung leistet. Immer noch werden an die 80% aller pflegebedürftigen Menschen von ihren Angehörigen gepflegt. Ehemänner vor allem von ihren Ehefrauen, der verwitwete Elternteil, meist die alte Mutter, vorwiegend von Töchtern und Schwiegertöchtern.

3 Fakten gegen den Mythos von der Abschiebung ins Heim möchte ich daher darlegen. Sie sollen zum Nachdenken anregen.

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Fakt 1.) Wer als Kind Liebe erfährt, gibt Liebe zurück

Was will ich damit sagen? Kinder, die geliebt wurden, schieben Eltern nicht in ein Heim ab, sondern versuchen ALLES, diesen Eltern eine Heimaufnahme zu ersparen. Ich habe in den über 30 Jahren Altenpflege kein einziges Mal ein Kind erlebt, dass die Mutter/ den Vater einfach so und ohne sich Gedanken zu machen, in ein Heim gegeben hat.

Allerdings: Nicht immer ist es möglich, Eltern zu Hause zu pflegen. Es gibt Grenzen. Räumliche Grenzen, persönliche Grenzen und auch fachliche Grenzen. Pflege zu Hause kann extrem fordernd sein. Etwa wenn ein Elternteil mit fortgeschrittener Demenz, nächtliche Unruhe und Weglauftendenz zeigt, kann die Pflege unmöglich von einer einzigen Person geleistet werden. Aber auch bei schwerer körperlicher Pflege, etwa einer Person mit Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall, kann die Pflege zu Hause Grenzen erreichen. Dann gibt es oft nur den Weg ins Pflegeheim. 

Aber ich schwöre Euch, diesen Schritt, den Elternteil ins Heim zu geben, tun Kinder mit liebevoller Beziehung zu den Eltern niemals leichtfertig. Sie hinterfragen diese Entscheidung hundertfach, sie suchen lange nach anderen Lösungen, sie gehen in der Pflege der Eltern oft weit über ihre eigenen Grenzen und wenn sie es dann irgendwann nicht mehr schaffen und der Heimeinzug unumgänglich ist, fällt diesen Kindern dieser Schritt extrem schwer und die inneren Vorwürfe an sich selbst, sind groß. Das Gefühl,  versagt zu haben, plagt sie oft über Jahre. 

Sollte ein Kind seine Eltern tatsächlich leichtfertig ins Heim geben, sollte tatsächlich jemand die Eltern "ins Heim abschieben", hat das in der Regel seine berechtigten Gründe. Fast immer handelt es sich um eine sehr schlechte Eltern-Kind-Beziehung, fast immer gibt es eine düstere Vorgeschichte und ist in der Kindheit/ Jugend viel schief gelaufen.

In all meinen Jahren in der Altenpflege habe ich nur ein Mal einen Vater erlebt, von dem sagen hätte können, er wäre ins Heim abgeschoben worden. Aus seiner Sicht war es so, er hat sich im Pflegeheim auch lauthals über seine undankbare Tochter beschwert und viele BesucherInnen haben dem alten Mann geglaubt, ihn bedauert und die Tochter verurteilt. Dass dieser Mann aber jahrzehntelang seine Tochter und auch ihre Mutter misshandelt und gequält hat, hat er niemandem erzählt. Diese Tochter hat übrigens die Pflege des Vaters auch erst beendet, nachdem eine dritte Person eingriff, nämlich ich. Der alte Mann war auch als pflegebedürftiger Mensch grausam und erniedrigte seine Tochter. Die Pflege zu Hause eskalierte immer wieder. Es kam zu wahren Gewaltexzessen. Erst als ich, damals in meiner Aufgabe als Pflegeberaterin, eingeschritten bin, als ich für den Vater einen Heimplatz suchte und die Tochter von der Verpflichtung der elterlichen Pflege quasi freisprach, konnte sie ihren Vater loslassen und endlich ihre eigenen Wege gehen.

Darum: Nein, Kinder, die geliebt wurden von den Eltern, schieben nicht ins Heim ab. Sie suchen einen Heimplatz für ihre Eltern erst dann, wenn es keinen anderen Weg mehr gibt. Oder wenn sie mit den Eltern ein Einvernehmen herstellen. Denn: Nicht alle Eltern wollen von ihren Kindern gepflegt werden!

Fakt 2. Eine Heimaufnahme kann der bessere Weg sein

Wenn wir an Pflegeheime denken, haben wir immer noch das Bild der 70er Jahre im Kopf. Wir sehen vor unseren Augen verwirrte Menschen lethargisch in kahlen Gängen sitzen, wir riechen abgestandenen Urin und hören leidende Schreie: “Schwester, Schwester”. 

Dieses Bild vom Pflegeheim ist überholt. In Seniorenheimen heute wird gewohnt und gelebt. Das Seniorenheim ist die letzte Station im Leben. Keine Frage. Doch viele alte Menschen, die zu Hause leben, vereinsamen. Im Seniorenheim ist man dagegen nicht alleine, man ist umgeben von Menschen, man bekommt einiges geboten, vom Turnen über Ausflüge bis hin zu gemeinsamem Backen oder Kochen. So schaut nicht jeder Tag gleich aus. Familie und Freunden können jederzeit auf Besuch kommen, mehr noch, man kann als BewohnerIn auch abgeholt werden, für Stunden, aber auch für Tage und sogar für einen langen Urlaub. 

Ich habe immer wieder alte Herrschaften erlebt, die sich zuerst gegen eine Heimaufnahme gewehrt oder sich ins Heim abgeschoben gefühlt haben. 3-6 Wochen später aber haben sie oft festgestellt: "Hätte ich gewusst, wie nett es hier ist, wäre ich schon früher bei ihnen eingezogen."

Darum: Das Seniorenheim ist besser als sein Ruf. Es kann der klügere Weg sein, ins Seniorenheim einzuziehen, statt zu Hause vor sich hin zu wursteln und zu vereinsamen.

Fakt 3. Kinder haben ein Recht auf ihr eigenes Leben

In unserer christlichen Welt gibt es dieses eine Gebot: Du sollst Mutter und Eltern ehren. Darum geht man bei uns automatisch davon aus, dass Kinder ihren Eltern etwas schuldig bleiben und diese Kinder im Alter ihren Eltern, in Form von Pflege und Betreuung, etwas zurück geben müssen.

Aber, seien wir uns im Klaren: Das mag früher gegolten haben und möglich gewesen sein, heute ist es das nicht mehr. Früher haben Eltern am Ende des Lebens mit den Kindern mit gelebt. Sie haben in der Wohnung eines erwachsenen Kindes ein Zimmer gehabt, haben die Enkelkinder gehütet, waren integriert in die Familie und sind dann, in den letzten Monaten und Wochen, auch von dieser Familie betreut worden. 

Heute ist die Situation aber eine andere. Welcher Elternteil zieht noch bei den Kindern ein und lebt dann in einem kleinen Zimmer? Eltern leben in der Regel in ihrer eigenen Wohnung, oft viele Kilometer entfernt von den Kindern. Die erwachsenen Kinder, meist berufstätig, in Partnerschaft lebend und selbst Eltern, müssen daher ihr eigenes Leben zur Seite stellen, wenn sie die Betreuung und Pflege der alten Eltern übernehmen wollen. Als Altenpflegerin habe ich hunderte pflegende Frauen erlebt, die zwischen zwei Haushalten, zwischen eigener Familie und Eltern, hin und her gehetzt sind. 

Außerdem: Früher haben alte Menschen, wenn sie pflegebedürftig wurde, nur noch wenige Monate gelebt. Heute sind es an die 10 und oft noch mehr Jahre. Wie soll das zu schaffen sein von Kindern? Wobei es ja meistens EIN Kind ist, welches diese Pflege trägt. Die Tochter. Wie also soll eine Tochter diese lange Pflege schaffen? 

Dazu kommt: Das Leben ist so teuer wie nie zuvor. Frauen müssen ebenfalls arbeiten, damit das Leben für ihre Familie leistbar ist. Und, auch das ist zu bedenken, viele Frauen WOLLEN arbeiten, die Arbeit ist ein wesentlicher Teil weiblicher Identität geworden. 

Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Gibt es wirklich ein Recht auf Pflege durch Kinder? Gibt es tatsächlich die Verpflichtung von Kindern, das eigene Leben über Jahre zum Stillstand zu bringen und den Eltern zu widmen? Bleiben Kinder ihren Eltern wirklich etwas schuldig, was man einfordern kann? Ich meine NEIN. Ich finde, es wird hier Zeit für ein Umdenken. Eine Heimaufnahme ist kein Abschieben, sondern ein akzeptabler Weg als Lösung, wenn Eltern pflegebedürftig werden.

Dass diese Pflegeheime lebenswerte Orte sind und keine kalten Aufbewahrungsanstalten, liegt an uns als Gesellschaft. Altenpflege muss uns etwas wert sein. Wir müssen für eine menschliche und wohnliche Altenpflege kämpfen, statt Kinder mit der Pflege ihrer Eltern alleine zu lassen und ihnen Vorwürfe vor die Füße zu schleudern, wenn sie für ihre Eltern einen Platz im Seniorenheim suchen.

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Service

Fotos Blogartikel: pixabay.com

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