Lasst uns endlich über Sex reden!

Erinnerst Du Dich noch an das Lied „Lets Talk About Sex“ von Salt-N-Pepa? Sobald ich den Liedtitel lese, habe ich die Melodie und den Text im Kopf. Das Lied stammt aus dem Jahr 1990, ich war 26 Jahre jung und über Sex reden war mir und meinen Freundinnen damals kaum möglich, trotz des Aufforderungscharakters dieses Liedes. Mittlerweile bin ich und die Frauen meiner Generation jenseits der Menopause. Was denkt Ihr, wagen wir es mittlerweile Gespräche über Sex zu führen?

vulven lila klein

Let's talk about sex, baby

Let's talk about you and me

Let's talk about all the good things

And the bad things

that may be.

Let's talk about sex

 

In den letzten Wochen war ich mehrmals mit dem Thema Menopause und Sexualität beschäftigt. In einem Tagesworkshop stand es im Mittelpunkt, in einer intimen Frauenrunde ging es darum, in einem Halbtages-Seminar kam das Thema zur Sprache und in zwei Coachings ebenfalls.

All diese Termine einte ein Phänomen: Über Sex zu reden, ist Frauen kaum möglich. Weder mit dem Partner noch mit Freundinnen. Es ist möglich, das Thema anzusprechen, wenn es mit dem Sex gut läuft. So nach dem Motto „Alles paletti bei mir und uns! Wir tun es noch!“

Über Sex reden? Wie peinlich!

Sobald es aber "knarrt im Gebälk" - man als Frau keine minutenlangen Orgasmen vollbringt, man vielleicht sogar sexuell unzufrieden ist, zu kurz kommt beim sexuellen Akt, keine Befriedigung erfährt oder überhaupt das Gefühl hat, im Vergleich zu anderen, zu wenig Sex zu haben oder gleich gar keinen Sex mehr zu wollen - wird es still und schweigsam. Dann kommt es zu ein wenig Gekicher, es findet vielleicht ein vorsichtiges Kratzen an der Oberfläche statt mit nachfolgender Bagatellisierung. Aber reden, wirklich die Wahrheit auf den Tisch legen und Tacheles reden? Nööööö, über Sex reden, das ist zu peinlich, zu intim. Das geht doch niemanden etwas an! Ernsthafte Gespräche über Sex finden nicht (oder nur sehr selten) statt, oft nicht einmal unter besten Freundinnen.

über sex reden
Es gäbe so viel zu besprechen!

Wie viele Frauen leben mit einem Partner, der Sex läuft seit Jahren nach dem gleichen Schema ab, bei dem die Frau leer ausgeht. 2-3 Mal hat sie versucht, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, worauf der Mann, in seinem Ego gekränkt, reagierte mit: „Willst Du vielleicht sagen, Du bist nicht zufrieden mit unserem Sex?“ Worauf die Frau aufgab und jetzt mit 50 oder 60, wenn man sie nach ihrem Sex fragt, meint: „Das Kuscheln danach ist mir eh wichtiger.“

Wie viele Frauen haben nach Krankheiten oder Operationen sexuelle Probleme? Schmerzen etwa bei der Penetration nach Bestrahlungstherapien oder Orgasmus-Probleme nach Gebärmutterentfernungen.

Wie viele Frauen haben sexuelle Probleme während der Wechseljahre und nach der Menopause, etwa Schmerzen bei der Penetration wegen trockener Schleimhäute oder Schmerzen und Harnverlust beim sexuellen Akt aufgrund des urogenitalen Menopausensyndroms.

Wie viele Frauen leben aber auch mit einem Mann, der aus medizinischen oder auch altersbedingten Gründen keine Erektion mehr schafft, aber immer noch in seinem Hirn verankert hat: Sex ist einzig und allein Penetration! Weshalb er seine sexuellen Aktivitäten gleich ganz eingestellt hat und die Partnerin, so sie sich nicht selbst zu helfen weiß, ohne Sex leben muss.

Frauen, die ihr betroffen seid, tretet vor! Ich weiß, dass es Euch zu Hauf gibt!

wir reden über sex
Weibliche Sexualität - komplex und ohne Regeln!

Doch wer glaubt, sexuelle Probleme hätten vor allem körperliche Ursachen, irrt gewaltig. Die amerikanische Ärztin Leonore Tiefer ist 2010 den sexuellen Störungen und Problemen von Frauen nachgegangen und hat 4 Problemfelder als Ursache identifiziert.

  • Soziokulturelle, politische, wirtschaftliche Probleme
  • Probleme in Partnerschaft und Beziehung
  • Psychologische Probleme
  • Medizinische Probleme

Es mag manche vielleicht überraschen, jetzt zu lesen, dass medizinische/ körperliche Probleme nur für 7% aller sexuellen Probleme verantwortlich sind, während 65% aller sexuellen Störungen verursacht werden von Problemen in Beziehung und Partnerschaft.

Es geht also um den Kern, um das Miteinander, es geht um Liebe, um liebevolle Begegnung, darum, ob Frau begehrt wird, sich begehrt fühlt. Nicht nur, wenn der Mann Lust auf Sex hat, sondern auch davor, danach und all die Tage und Nächte dazwischen!

Wohl auch deshalb war Leonore Tiefer eine entschiedene Gegnerin des deutschen Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, als dieses vor rund 10 Jahren die „rosa Pille“ , eine Art Viagra für die Frau, entwickeln wollte. Leonore Tiefer meinte damals, dass den Frauen damit suggeriert werde, sie müssten mit niemandem mehr reden über ihr sexuelles Glück/ Unglück, weder mit ihrem Arzt, noch mit dem Partner oder irgendjemand sonst, sondern „nur ihren Botenstoffwechsel im Gehirn in Balance bringen". Leonore Tiefer legte dar, dass die Sexualität von Frauen viel zu komplex wäre, um zu glauben, man müsste die Frau nur mit einer einzigen Pille versorgen und schon würde sie sexuell wieder „funktionieren“.

menopause und sex
Über Sex reden- es wird Zeit!

Erfüllte Sexualität finden wir nicht, wenn wir weiterhin schweigen. Wir müssen über Sex reden! Über unsere sexuelle Praxis, unsere sexuellen Bedürfnisse, Vorstellungen und auch über sexuelle Probleme. Wir müssen Worte finden!

Die spanische Gerontologin und Feministin Anna Freixas verweist in ihrem neuen Buch Ich, die Alte! darauf, dass weibliche Sexualität jenseits der 50 komplex ist, keinen Regeln unterworfen ist und in enger Verbindung steht mit dem eigenen Körpergefühl. Interessant dazu: Frauen jenseits der Menopause, die in homosexuellen Beziehungen leben, haben ungleich weniger sexuelle Probleme als Frauen in heterosexuellen Beziehungen. Spannend, oder?

Als größtes Problem am Weg zu sexueller Erfüllung sieht Anna Freixas jedoch- und damit komme ich wieder zum Titel dieses Artikels zurück - das Tabu. Das nachfolgende Zitat von Ihr, kann ich deshalb gar nicht oft genug nennen:

„Wenn es etwas gibt, das die Sexualität der Frauen ab 40 definiert, 

dann ist es das Schweigen darüber.“

Ob tägliches Erleben von lustvollem Sex oder gar keine Lust mehr auf Sex, ob Probleme psychischer oder körperlicher Art, ob miese Ausgangsbedingungen für guten Sex aufgrund von Sprachlosigkeit in der Beziehung oder einer schlechten Partnerschaft an sich, lasst uns das Schweigen brechen und anfangen, über unseren Sex zu reden!

Es gibt kein richtig oder falsch, kein normal und nicht normal, kein "so muss es sein". Unseren Sex müssen wir selbst definieren. Lasst uns daher über Sex reden! Vielleicht zu Beginn einfach von Frau zu Frau. Von Freundin zu Freundin. In geschützten Frauenzirkeln. In Frauenzentren!

Let´s Talk About Sex, Ihr lieben Menopause-Frauen!

Service

Die Bilder dieses Blogbeitrages stammen von mir und meinem Mann. Von oben nach unten: Bild 1: Vulvaflowers lila/ Sonja Schiff. Bild 2: Is it love?/ Sonja Schiff. Bild 3: Vulvaflowers bunt/ Sonja Schiff. Bild 4: Adam und Eva/ Rochus Gratzfeld.

Von Leonore Tiefer erfährt Ihr mehr auf ihrer Homepage:  https://www.leonoretiefer.com/  Lesenswert! Tolle Frau!

Einen kurzen Bericht über Leonor Tiefers Ablehnung der „rosa Pille“ lest ihr HIER

Anna Freixas Buch heißt Ich, die Alte! Aktivistische Ratschläge für freie Menschen. Es ist ihr zweites Buch und 2022 erschienen, Verlag Orlanda. In einige Wochen werde ich die Autorin und ihre beiden Bücher hier am Blog extra vorstellen.