Als ich vor rund einem Jahr meine Überlegungen bezüglich der Weiterentwicklung meiner mittlerweile 23 Jahre andauernden Selbständigkeit (auf die ich sehr stolz bin!) präzisierte, schüttelte mein Mann, ein langjähriger Marketing- und Werbeprofi, nur den Kopf. „Du kannst nicht Geburtenstation UND Beerdigungsinstitut gleichzeitig sein. Du musst Dich entscheiden! Entweder, oder!“
Gemeint war damit mein Gedanke, Menschen bei ALLEN Themen und Situationen des Älterwerdens mit Coaching und Seminaren zu begleiten. Beim Übergang in den Ruhestand genauso, wie bei Pflegebedürftigkeit der Eltern, bei Fragen der Lebensziele jenseits der 60 ebenso, wie bei Demenz des Partners, bei akuter Traurigkeit wegen Enkellosigkeit (aufgrund von Kinderlosigkeit) ebenso, wie bei der Suche nach dem richtigen Wohnen im Alter.
„Geburtenstation ODER Beerdigungsinstitut! Sonst bist Du nicht glaubhaft!“
Für meinen Mann gar keine Frage.
„Aber…......ich vereine doch die dunklen, wie die hellen Themen in mir. Ich hab doch Kompetenzen und Know-How für beide Themenfelder! Altenpflege, Alternswissenschaft, Lebensberatung. Und überhaupt: Das Älterwerden ist eben beides, hell und dunkel, so wie das gesamte Leben. Wie glaubhaft bin ich, wenn ich so tu, als wäre das Älterwerden ein einziger Ponyhof?!“ rief ich aufgebracht, argumentierte, erklärte. Nicht nur ihm. Auch mir selbst.
Resümee nach einem Jahr
Nun ist ein Jahr vorbei und ich bin unsicher. Lag mein Mann richtig? Blogbeiträge zu dunklen Themen werden kaum gelesen. Für das Thema „Demenz in der Familie“ im monatlichen Newsletter werde ich abgestraft mit Newsletter-Abmeldungen. YouTube-Videos zu dunklen Themen laufen ins Leere. Aber bei Jubelmeldungen zum Älterwerden rufen auch manche „Ja eh,….aber.“ Ich kann mich und meine Unternehmung drehen und wenden, wie ich will, irgendwie fühlt sich alles ziemlich unrund an. Ich fühle mich unrund an.
Schau ich nach Kolleginnen und deren Angebote, nach Coaches, Keynote-Speakerinnen, Seminarleiterinnen, die ebenfalls zum Thema Älterwerden aktiv sind, oder nach Frauen, die sogenannten „Influencerinnen“ sind, dann sehe ich: Diese haben sich entschieden! Sie postulieren ausschließlich „Älterwerden ist großartig! Älterwerden ist ein Abenteuer! Älterwerden ist HURRA!“ Dunkle Themen kommen keine vor. Niemand bekommt da eine Demenz, niemand hat Probleme mit Falten, es pflegt niemand die Eltern und keine wird Witwe. Älterwerden ist die geilste Sache der Welt. Punkt.
„Geburtenstation“ würde mein Mann sagen und dabei wissend nicken.
Wie gehts weiter?
Ich hänge fest. Muss ich mich tatsächlich entscheiden? Muss ich einen Teil meiner Kompetenz wegamputieren, zur Seite schieben, mich tatsächlich fokussieren, zurechtstutzen und „meine Nische finden“, wie das im Marketingsprech so schön heißt? "Kenne Deine Zielgruppe!"
Oder bin ich doch richtig unterwegs, aber einfach zu früh dran mit meinem Vorhaben? Wieder einmal zu früh, zum x-ten Mal! Eine Visionärin, wie ich oft genannt werde. Eh Super, aber halt auch sehr anstrengend! Und phasenweise nicht grad lukrativ. Etwas, was jetzt nach Corona, das mir einen kräftigen Bauchfleck beschert hat, schon irgendwie wichtig wäre.
Oder aber bin ich einfach viel zu ungeduldig, wie meine, mich unterstützende Kommunikationsfachfrau kürzlich mahnend meinte? „Dir geht alles immer viel zu langsam! Geduld, Geduld!“
Diese Woche hat mir eine langjährige Auftraggeberin angeboten, wieder als Trainerin bei ihr zu arbeiten. Sie vermisst mich in ihrer Bildungseinrichtung, meine Kompetenz, meine Begeisterung.
Was tun?
Doch fokussieren? Oder dran bleiben am geplanten Vorhaben? Oder aufgeben und zurück zu alten Ufern?
Fragen über Fragen.....
Gisela Enders says:
Hallo Sonja,
toll, dass Du so ehrlich schreibst! Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass wir zunächst bei den „erfolgreich“ scheinenden Menschen erstmal hinter die Kulissen schauen müssten, um zu sehen, ob sie wirklich so nachgefragt sind, wie Du das wahrnimmst. Immerhin gehört das ja zum Image dazu, aber nicht alle, die sich nach außen ausgesprochen erfolgreich vermarkten, machen deshalb gute Gewinne. Ich hatte in meinen Coachings schon einige, die zwar deutlich höhere Umsätze als ich hatten, aber beim Gewinn sehr zurückgefallen sind. Und ja, mit viel Werbung und Marketing kann das ganze erfolgreich aussehen.
Anyway, ich finde Deinen ganzheitlichen Ansatz sehr schön, auch wenn man sich mit den dunklen Themen wohl immer nur beschäftigt, wenn sie einen betreffen. Bis dahin hoffen wir doch alle, dass wir so durch´s Leben kommen. Und ich finde es wichtig, dem eigenen Bedürfnis treu zu bleiben – auch wenn das finanziell vielleicht nicht so viel bringt. Ich habe vier Coachingbereiche, die ich anspreche und jeder Marketingcoach schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Aber für mich war es immer wichtig, alle Lebensbereiche, die mir wichtig sind und wo ich was geben kann, zu adressieren. Ganz neu beschäftige ich mich jetzt auch mit meinem Weg in die Rente. Ich bin gespannt, wo mich die Reise hinführt. Falls Du reinlesen willst: http://www.ich-geh-in-Rente.de. Meine berufliche Seite mit Bauchladen: http://www.gisela-enders.de Und wenn Du Lust hast auf einen kollegialen Austausch, lass uns einen Termin machen. Viele Grüße Gisela
Sonja Schiff says:
Hallo Gisela, erst Mal, danke für deinen langen Kommentar. Und deinen Zuspruch! Deine Seiten schau ich mir die nächsten Tage an und ich melde mich verlässlich! Austausch wäre echt fein 🙂 Lieben Gruß! Sonja
claudia dabringer says:
wenn du der meinung bist, dass beides möglich sein darf, dann verfolge deinen weg. rom wurde auch nicht an einem tag erbaut, noch nicht einmal in einem jahr. das leben hat immer licht- und schattenseiten. wenn andere das nicht zur kenntnis nehmen wollen, ist das deren bier. klar will jeder hoeren, dass alterwerden rockt – was es ja auch tut, zumindest fuer mich. doch vorbereitet zu sein, wenn der blues kommt, ist sinnvoll. das werden auch jene begreifen, die jetzt noch zu „layla“ tanzen, waehrend „somewhere over the rainbow“ der zukuenftigen befindlichkeit mehr entsprechend wird. eric clapton geht immer, genauso wie dein know-how immer bleibt <3
Martin Krause says:
Ich würde Dir zu einem SOWOHL als AUCH empfehlen. Das die Probleme des Alterns besonders gern von den Nichtbehinderten, Nicht betroffenen Alten ausgeblendet werden, weil die Ängste im HIER und JETZT zu groß und bedrohlich wirken – und damit bedrohlich auf und für die eigene Lebensqualität einwirken, lässt gern verdrängen. Die große Gruppe der „Verdränger“ will solange es geht, nichts von diesen Problemen wissen.
Alte Menschen, die von Pflegebedürftigkeit immer stärker betroffen sind, sehen das ganz anders. Sie kämpfen jeden Tag um jedes Stück Lebensqualität, richten sich mit ihr ein oder geben sich auf. Sie sind keine einheitliche Zielgruppe. Aber Erleichterung, Unterstützung, Hilfen verschiedenster Art werden gesucht und dankbar angenommen. Das gilt auch für Deine Leistungspalette.
Du hast soviel Lebenskompetenz. Das macht Dich zu der Persönlichkeit, die Du bist. Du bist ein Mensch, der etwas zu sagen hat. Und dieses sagen ist hilfreich! Deine Seminarteilnehmer sehen Dich in Deiner gesamten Kompetenz und als Mensch, dessen Gedanken hilfreich für die Teilnehmer zur Lebensbewältigung sind. Dein TANTE-EMMA-LADEN wird deswegen gebucht, weil Du auf engem Raum ein gigantisches Angebot vorhältst. Spezialgeschäfte haben es aufgrund des engen Sortiments heute schwer. Amazon hat da oft Besseres kostengünstiger zu bieten. Nachbarschaftsläden boomen, weil sie besonderen Service bieten. Dieser Service ist der Mensch, der da hinter der Theke steht und auf die Bedürfnisse seiner Kunden eingeht.
Ich habe nie verstanden, warum Du Deinen Focus gegenüber immer weiter in Deiner Vermarktung verkleinert hast. Du hast ein so tolles Angebot. Warum legst Du nicht alle Deine Facetten der Kompetenz von Dir auf Deine Ladentheke?
Sonja Schiff says:
danke, du liebe du!!!!