Peter Wißmann: Vom Demenzexperten zum Prosaautor

Im deutschsprachigen Raum war er eine der ganz wichtigen Stimmen zum Thema Demenz. Peter Wißmann, Dozent, Moderator, Redner, Sachbuch-Autor. Jahrelang hat er, zuerst bei Demenz Support Stuttgart, dann, nach seinem Pensionseintritt, in Innsbruck bei Team WAL, für einen anderen Umgang mit Menschen mit Demenz geworben. Er hat eindringlich Inklusion und Teilhabe für Betroffene gefordert und Menschen mit Vergesslichkeit dabei begleitet, selbst ihre Stimme zu erheben, Bücher zu schreiben oder Videos zu gestalten. Vor etwa einem Jahr hat er sich plötzlich von diesen Aktivitäten zurückgezogen, um - wie sich jetzt herausstellte - ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen: Peter Wißmann schreibt jetzt Prosa. Mit "Überschattet" hat er kürzlich sein erstes Prosawerk vorgelegt. Vielleicht ein letztes Mal spielt dabei Demenz eine Rolle. Lesenswert und sehr berührend!

Peter Wißmann: Überschattet
Peter Wißmann - vom Experten für Altersfragen und Demenz.....

Ich kenne und schätze ihn seit Jahren. Peter Wißmann war/ ist in der deutschsprachigen Demenzszene ein Großer. Er war Vorreiter, Mahner, Visionär, Gestalter und hat den Blick auf Demenz und dem Umgang mit Menschen mit Vergesslichkeit verändert. Als er seine Pension antrat vor einigen Jahren und die Organisation Demenz Support Stuttgart, seine langjährige Wirkungsstätte, verließ, war es für mich daher nicht verwunderlich, dass er an einem anderen Ort, in Innsbruck, genau an dem gleichen Thema und eben auf seine Art weitertat. Ich dachte mir damals: Aha, auch einer, der viel zu geben und zu sagen hat, und keinen Grund sieht, in den klassischen Ruhestand zu gehen.

Dann war er plötzlich weg. Keine Veranstaltungshinweise mehr von ihm, keine Newsletter mehr, keine Social Media Aktivitäten. Peter Wißmann hatte sich zurückgezogen.

Vor 3 Monaten reagierte er auf meinen Newsletter. Ich hatte davon berichtet, im Sommer Pension geübt zu haben, um mich langsam und experimentell meinem eigenen Pensionseintritt anzunähern. Peter schrieb: "Was die Pension angeht, bin ich dir ja bereits voraus, seit zwei Jahren bin ich offiziell Pensionär. Freu dich drauf, es ist wunderbar. "  Und weiter meinte er: "Es wird vermutlich eine Entwöhnungsphase brauchen, bis du wirklich im neuen Leben ankommst. So war es jedenfalls bei mir." Er erzählte mir, wie er nach seinem Pensionsantritt beruflich "noch einmal ordentlich zugelangt hatte", Team WaL mitgegründet, Videoseminare, Vorträge, zwei Bücher. Dann der schon genannte Rückzug.

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................ zum Autor von Prosa

Peter Wißmann hatte sich aufgemacht, eine andere Facette von sich zu leben und sich einen Jugendtraum zu erfüllen: Das Schreiben literarischer Prosa. Er absolvierte ein Prosa-Fernstudium an der renommierten Autorenschule Textmanufaktur, machte weitere Fortbildungen bei SchriftstellerInnen, besuchte Schreibgruppen mit anderen Schreibenden und startete im Oktober in Innsbruck eine eigene Schreibwerkstatt. Seinen neuen Weg fasste er im Mail an mich zusammen mit: "Und: Ich bin glücklich dabei!"

2024 gab er nun sein Debut als Autor literarischer Prosa. Im Frankfurter Mabuse Verlag erschien sein Buch „Überschattet“. Dicht erzählt, authentisch und berührend, gibt Peter Wißmann mit 2 Erzählungen Einblick in Lebens- und Gefühlswelten von Menschen mit Vergesslichkeit und deren Umfeld.

Überschattet von Peter Wißmann

ÜBERSCHATTET - Erzählungen über Demenz

Die erste Erzählung mit dem Titel "Freunde", ist autobiografisch. Peter Wißmann hat sie wohl als Reminiszenz an einen Freund geschrieben, an einen Menschen mit Demenz, den er in seiner früheren beruflichen Tätigkeit kennengelernt hat.

Der eine, Christian, lebt mit der Diagnose Alzheimer, der andere - Ich-Erzähler Peter Wißmann - beschäftigt sich mit Altersfragen. Mit einer Buchidee im Kopf kontaktiert er Christian, um ihn zur Mitarbeit einzuladen. Das Buch wird ein Erfolg, die beiden Männer nähern sich durch die enge Zusammenarbeit und die nachfolgenden Buchpräsentationen immer mehr an, werden Freunde und mischen die Welt zusammen ein wenig auf. Eine gemeinsame Lesung, nach der zwei "Menschen vom Fach" Peter Wißmann vorwurfsvoll darauf hinweisen, dass Christian überfordert war, schafft erste Unsicherheit. Der Fachexperte reflektiert, ob zwischen ihm und Christian überhaupt Freundschaft sein kann. "Braucht Freundschaft nicht Gleichheit?" fragt er sich. Als die geistigen Fähigkeiten von Christian immer mehr nachlassen, nimmt ein gemeinsamer Ausflug eine unerwartete Wendung und stellt die Beziehung der beiden Männer auf eine harte Probe. Außerdem muss der Erzähler eine Entscheidung treffen, die ihm alles andere als leicht fällt.

Die zweite Erzählung mit dem Titel „Der Stempel" erzählt von der 13-jährigen Mila. Ihr Leben mit Mutter Linn und Stiefvater Freddy ändert sich von einem Tag auf den anderen. Milas "Erzeuger", der sich nie um sie gekümmert hat und den sie gar nicht kennt, hat das Jugendamt eingeschaltet und fordert das alleinige Sorgerecht. Der Grund: Mutter Linn hat eine Demenzdiagnose und kann sich angeblich nicht mehr ausreichend um Mila kümmern. Mila stellt sich der Herausforderung, den Gesprächen mit dem Jugendamt ebenso, wie der Begegnung mit dem Erzeuger. Außerdem kämpft sie an gegen theoretische Expertise von Fachpersonen und fachliche Floskeln wie "Deine Mutter LEIDET an Demenz". Für Mila leidet Linn nicht. Sie ist einfach ihre Mutter, eine, die nicht so stark ist, wie andere Mütter. Und? Die Aussicht, aus ihrer Familie herausgerissen zu werden, stürzt Mila in Verzweiflung und veranlasst sie zu einem radikalen  Schritt.

Mein persönliches Resümee

Obwohl ich kein Fan von Kurzgeschichten bin, habe ich die beiden Erzählungen sehr gerne gelesen. Sie sind dicht und spannend erzählt, man taucht wirklich ein in die Welt der Protagonist:innen, kann ihre Gefühle nachvollziehen. Besonders berührt hat mich die zweite Geschichte. Mila, die mit all dem Expertentum nichts anfangen kann, der sogenannte Experten unter dem Deckmantel von Fachlichkeit und angeblicher Sorge alles Negative zumuten, was über Demenz erzählt wird, hat mich ganz schön mitgenommen. Zum Glück gibts eine Art Happy End!

Peter Wißmann ist sein Debüt als Autor von Prosa aus meiner Sicht sehr gut gelungen. Ich finde es toll, wie er sich jetzt quasi ein Stück neu erfindet. Aus meiner Sicht ist dies eine der großen Chancen unseres Pensionssystems. Dass man nach 40 Jahren Berufstätigkeit schauen kann, wer man noch ist, wer da noch in einem steckt außer die Person, die man bis jetzt war. In Peter Wißmann steckt eindeutig ein Literat.

Wird er weiterhin über Demenz schreiben, frage ich mich? Ich glaube nicht. Ich denke, er wird sich inhaltlich ebenfalls neues Terrain erobern. Und wenn er doch wieder über Demenz schreibt und bei diesem Thema bleibt, welches ihn so lange begleitet hat? Kein Problem! Es gibt viel zu wenig Geschichten, die von der Gefühlswelt von Menschen mit Vergesslichkeit erzählen. Und wer könnte diese besser erzählen als Peter Wißmann?

Ich bin gespannt auf weiteres!

Peter Wißmann
Peter Wißmann. Heute Autor von Prosa.

Service

Überschattet. Erzählungen über Demenz. 2024. 143 Seiten. Erschienen im Mabuse Verlag. Frankfurt am Main.

Mehr zu Peter Wißmann als Autor von Prosa unter www.peter-wissmann.com/